Johanna Goldschmidt

Johanna Goldschmidt wurde am 19. Februar 1889 in Stadtlohn geboren. Ihre Familie jüdischen Glaubens hatte väterlicherseits ihre Wurzeln im niederländischen Losser und war erst im späten 19. Jahrhundert in Stadtlohn ansässig geworden. Johanna war das zweite Kind ihrer Eltern Abraham Goldschmidt (1854-1899) und Bertha Goldschmidt geb. Kleffmann (1856-1937). Johanna hatte einen älteren Bruder, Emil, und zwei jüngere Brüder: Leopold (1891-1918), der im Ersten Weltkrieg fiel, sowie Gustav (1895-1980), der mit seiner Familie durch Flucht in die USA der Ermordung durch die Nationalsozialisten entging.

Johanna Goldschmidts Vater war von Beruf Metzger, sie war zehn Jahre alt, als er erst 45-jährig starb. Die Familie wohnte damals in einem Haus an der Eschstraße (Nr. 119, nach späterer Zählung Nr. 19), und verzog später in das Haus Eschstraße 34. Johanna blieb bei ihrer verwitweten Mutter, während die Söhne Emil und Gustav heirateten und mit ihren Familien eigene Haushalte gründeten.

Johanna hat anders als ihre kaufmännisch ausgebildeten Brüder offensichtlich keinen speziellen Beruf ergriffen und auch nicht geheiratet, sondern führte ihrer Mutter den Haushalt und pflegte sie im Alter. Die beiden Frauen wohnten zuletzt im Haus Südstraße 7. Hier starb die Mutter Bertha Goldschmidt 80-jährig am 24. April 1937. Johanna, die sie bis zuletzt versorgt hatte, trauerte sehr um sie, wie aus erhaltenen Postkarten und Briefen hervorgeht. Sie musste im November 1938 die Schrecken der Pogromnacht erleben, als sie aus ihrer Wohnung im Obergeschoss des Hauses Südstraße 7 die Treppe heruntergezerrt wurde.

Um ihren Lebensunterhalt nach dem Tod der Mutter bestreiten zu können, sah Johanna sich gezwungen, nach vier Jahrzehnten in Stadtlohn ihren Geburts- und Wohnort zu verlassen. Am 18. September 1939 zog sie ins rund 18 Kilometer entfernte Borken in den Haushalt der jüdischen Fabrikantenfamilie Haas, Bahnhofstraße 11, und wurde dort als Haushaltshilfe tätig. Schon ein Vierteljahr später war sie offenbar zu einem erneuten Ortswechsel genötigt: Nach der Enteignung der Familie Haas folgte sie zum Jahresende 1939 der aus Breslau stammenden Schwiegertochter Ruth Haas und deren drei Söhnen nach Breslau. Dieser Wechsel in eine Großstadt, mehr als 800 Kilometer entfernt von ihrer westfälischen Heimat, dürfte ihr sehr schwer gefallen sein. Dazu kamen die Alltagsschikanen des NS-Regimes gegen die jüdische Bevölkerung, die dazu führten, dass sich die Wohn- und Arbeitsverhältnisse für die verfolgte jüdische Minderheit immer weiter zuspitzte. Mehr als 9.000 Juden lebten 1940 noch in Breslau, darunter die 51-jährige Johanna Goldschmidt. „Die meisten Juden sind bleich, abgemagert und schäbig gekleidet, selbstverständlich auch die früher wohlhabenden“ , berichtet ein anonymer Augenzeuge um die Jahreswende 1940/41 aus Breslau. Über Johannas persönlichen Verhältnisse damals ist fast nichts in Erfahrung zu bringen. Sie wohnte an der Adresse Schweidnitzer Straße 19 in Breslau. Dort erreichte sie wohl auch die Aufforderung zur „Umsiedlung in den Osten“ – der Deportationsbefehl.

Johanna Goldschmidt musste am 25. November 1941 – also noch rund zwei Wochen früher als die Stadtlohner Juden – von Breslau aus auf den Transport „nach Osten“ gehen; 1.005 Menschen befanden sich in diesem Deportationszug nach Litauen. Vier Tage war er unterwegs, am 29. November 1941 erreichte er Kaunas/Kowno in Litauen. Unter der Bewachung deutscher Kompanie-Angehöriger eines Reserve-Polizeibataillons mussten die Breslauer Juden – und Johanna Goldschmidt unter ihnen – vom Bahnhof am jüdischen Getto vorbei Richtung IX. Fort gehen. Dort warteten vorbereitete Gruben und alle 1.005 Juden aus Breslau wurden gleich nach ihrer Ankunft exekutiert. Zuvor hatten sie sich bei minus 18 Grad entkleiden müssen, so sagte später ein am Massenmord beteiligter Litauer aus. „Darauf wurden sie mit Maschinengewehren erschossen; Granaten wurden hinterdrein geschleudert. Ohne Kontrolle, ob alle tot waren, ertönte das Kommando, die Gruben zuzuschütten. Sowohl die litauischen wie die deutschen Nichtarier, Christen wie Juden, starben ruhig und gefasst. Sie sollen laut gemeinschaftlich gebetet haben und Psalmen singend in den Tod gegangen sein.“, wurde im Februar 1942 dem Osnabrücker Bischof Berning darüber berichtet.

So also müssen wir uns auch den Tod von Johanna Goldschmidt vorstellen, die damals 52 Jahre alt war.