Herta Lebenstein

Herta Lebenstein wurde am 3. Mai 1924 in Stadtlohn geboren. Sie hatte noch eine ältere Schwester und zwei Brüder. Ihre Eltern, der jüdische Viehhändler Daniel Lebenstein und seine Frau Olga, wohnten am Markt mitten in der Stadt. Ihr Vater war ein angesehener Stadtlohner Bürger, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und galt als "frommer Jude". Die Bauern vertrauten ihm daher gern ihr Vieh zum Verkauf an.

1930 wurde sie in die Dufkampschule eingeschult. Sie war sieben Jahre alt, als 1931 ein Parteiredner der NSDAP auf einer Versammlung in Ahaus sagte: "Sämtliche Juden müssten zusammengefahren werden, mit Petroleum begossen und verbrannt werden."

Sie war fast neun Jahre alt, als am 30.1.1933 Adolf Hitler und seine Anhänger die Macht in Deutschland übernahmen. Dies wird für das Geschäft ihres Vaters Probleme bedeutet haben, und von dem Tag an veränderte sich auch ihr Leben, ohne dass sie etwas dagegen hätte unternehmen können.

Sie war elf Jahre alt, als 1935 direkt vor ihrem Elternhaus in einem Kasten die Zeitung "Der Stürmer" ausgestellt wurde. Dort konnte sie regelmäßig lesen, dass die Juden als "das Unglück der Deutschen" bezeichnet wurden. 

Sie war vierzehn Jahre alt, als sie 1938 die Schule verließ. Inzwischen hatte sie schon merken müssen, dass jüdische Menschen nicht wie alle anderen behandelt wurden. So hatte sie und ihre jüdische Freundin die Klasse verlassen müssen, wenn "nationalpolitischer Unterricht" auf dem Stundenplan stand.

Sie war vierzehn Jahre alt, als in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 - der Reichspogromnacht - am Haus ihrer Eltern die Scheiben eingeschlagen und eine Hausecke herausgerissen wurde. Ehemalige Nachbarn erinnern sich noch heute an ihre Angstschreie. Sie wurde in dieser Nacht mit den anderen Stadtlohner Juden in das Gerätehaus der Feuerwehr eingesperrt, während die Häuser und Wohnungen der Juden geplündert wurden. Das Haus ihrer Eltern wurde im Dezember 1938 abgerissen, um Platz zu schaffen für einen größeren, schöneren Marktplatz. Familie Lebenstein musste in eine kleine Wohnung in der Rezepterstraße umziehen.

Was Herta in den folgenden Jahren machte, ist nicht bekannt. Aus einer Postkarte wissen wir, dass sie darauf hoffte, dass sie mit ihren Eltern zu ihren Brüdern ausreisen könne. Diese hatten das Land schon vor 1938 verlassen und lebten in Palästina. Auch ihre Schwester Erika zog aus Stadtlohn fort und bereitete ihre Ausreise vor. Wie die Familie ihren Lebensunterhalt verdiente, ist unklar. Vielleicht hat der Vater heimlich bei einem Bauern gearbeitet. Sicher ist aber auch, dass die Familie von Nachbarn mit Lebensmitteln unterstützt wurde.

Sie war sechzehn Jahre alt, als der Leiter der Stadtlohner NSDAP im Februar 1941 feststellte: "Der Jude ist ein Volksschädling und darum muss er ausgerottet werden." Ob sie wohl ahnte, in welcher Gefahr ihre Familie und sie schwebte?

Sie war siebzehn Jahre alt, als am 10. Dezember 1941 ein letztes Foto von den Stadtlohner Juden gemacht wurde, bevor sie nach Münster gebracht wurden. Neben einem Koffer mit Kleidung und Verpflegung durften sie nur 50 Mark mitnehmen. Stadtlohner Mädchen und Jungen sollen die Deportierten mit einem Schmählied "verabschiedet" haben. In Münster mussten sie das Geld abgeben und damit ihre eigene Deportation bezahlen, der Güterwagen mit dem Gepäck wurde gleich in Münster wieder abgehängt. Um 10 Uhr am 13. Dezember 1941 setzte sich der Zug mit etwa 400 Juden aus dem Münsterland in Bewegung. Die Fahrt endete im Ghetto von Riga in Lettland; dort kamen die Stadtlohner Juden vermutlich am 16. Dezember 1941 an und wurden im schlechtesten Wohnviertel eingepfercht. Die jüdische Bevölkerung, die hier vorher gewohnt hatte, war in den Tagen zuvor erschossen worden - über 27.000 Menschen.

Über Hertas weiteres Schicksal ist nur sehr wenig bekannt. Die zahlreichen Berichte über die Schrecken des Ghettos von Riga lassen erahnen, was sie dort erlebt und erlitten haben könnte. Nach Angaben eines ehemaligen  Soldaten aus Stadtlohn arbeitete sie in Riga im Heeresbekleidungsamt. Angeblich hat ein anderer Stadtlohner Soldat in einer Kantine in Riga einen Zettel unter seinem Teller gefunden: "Hier bedient Sie Herta Lebenstein". Der Name ihrer Mutter taucht auf einer Liste auf, die nach dem Krieg in Riga gefunden wurde. Demnach arbeitete sie im Ghetto als Näherin. - Das Ghetto von Riga bestand bis zum 2. November 1943. Während ihre Eltern vermutlich in Riga umgebracht wurden oder starben und ihre Schwester in Auschwitz getötet wurde, wurde Herta Lebenstein am 9. August 1944 von Riga in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig gebracht. Seitdem gilt sie als verschollen.

 

 

Zur Erinnerung an sie trägt die Realschule der Stadt Stadtlohn seit dem 21. September 2000 den Namen