Neue Gedenksteine lassen die Herzen stolpern

Stadtlohn.  Gunter Demnig hat sieben neue „Stolpersteine“ verlegt. Sie erinnern an Stadtlohner Opfer des Holocaust. Und wecken persönliche Betroffenheit.

Gunter Demnig setzt noch einen gezielten Schlag mit dem Gummihammer, nimmt den Handbesen und kehrt damit den Zementschlamm beiseite. Dann zieht der 71-jährige Künstler ein Papiertuch aus seiner Tasche und poliert die kleine Messingplatte blank. Das hat er schon über 70.000 Mal getan. Jedes Mal gab der graue Schlamm einen anderen Namen auf blitzendem Messing frei. Namen von Menschen, die von den Nationalsozialisten deportiert, gequält und zumeist ermordet wurden. Dieses Mal ist es der Name von Levi Goldschmidt.

Sieben neue Stolpersteine hat Gunter Demnig am Montag auf Einladung des VHS-Arbeitskreises Geschichte 1933 bis 1945 in Stadtlohner Gehwegen verlegt. Sie erinnern an die Lebens- und Leidensgeschichten von weiteren sieben, vor über 70 Jahren ermordeten jüdischen Mitbürgern. So wie die 23 anderen Stolpersteine, die seit 2009 in Stadtlohn verlegt wurden. Am Montag begleiteten rund 60 Stadtlohner Gunter Demnig bei seiner künstlerischen Erinnerungsarbeit. Katrin Sarholz aus Südlohn sang dazu sehnsuchtsvolle hebräische Lieder aus dem Film „Schindlers Liste" und spielte auf der Klarinette.

Levi Goldschmidt wurde 1877 in Stadtlohn als Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie geboren. Weil er geistig behindert war, bedrohte ihn die nationalsozialistische Ideologie gleich doppelt. Am 27. September 1940 wurde er aus einer Heilanstalt in die Tötungsanstalt Brandenburg geschickt und noch am gleichen Tag im Gas ermordet. Eva-Katharina Wissing (17) und Laura Malonnek (16) schildern Levi Goldschmidts Leidensweg, der ihn von seiner langjährigen Wohnadresse im Hook 2 in den Tod führte. Die beiden Mädchen haben sich mit weiteren Losbergschülern in einer Wahlpflicht-AG mit den Forschungsergebnissen des Arbeitskreises Geschichte befasst. Warum? „Weil es wichtig ist, genau zu wissen, was passiert ist", sagt Laura Malonnek. Und Eva-Katharina Wissing sagt: „Ich habe selbst eine Schwester mit geistiger Behinderung. Darum berührt mich das Schicksal Levi Goldschmidts ganz besonders." Beide sagen, es sei für sie ein „Privileg", bei der Stolperstein-Verlegung dabei sein zu dürfen. Levi Goldschmidt war einer von über sechs Millionen Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Die Historikerin Ingeborg Höting vom Arbeitskreis Geschichte zeigt an seinem Beispiel, wie die „gnadenlose Bürokratie" versuchte, Spuren zu verwischen und alle Erinnerungen auszulöschen. Umso wichtiger seien die Stolpersteine, die an die Namen der Opfer erinnern. „Sie zeigen uns, wo diese Menschen gelebt haben - nicht irgendwo, sondern unter uns", so Ingeborg Höting.

Das betont auch Bürgermeister Helmut Könning in seiner Ansprache:  „Der 10. Dezember ist ein besonderes Datum.  An diesem Tag vor 77 Jahren wurden in Stadtlohn viele Juden gehetzt, gedemütigt, verschleppt und in den Tod geschickt. Das passierte hier in unserer Stadt." Die Stolpersteine, so der Bürgermeister, seien eine Hilfe, das nie zu vergessen. Gunter Demnig selbst zitiert einen Hauptschüler: „Die Gedenksteine lassen den Kopf und das Herz stolpern."

Gedanken und Gefühle können nun auch an der Brakstraße 16 ins Stolpern geraten. An dieser Adresse verlegt Gunter Demmnig am Montag vier Stolpersteine für Emil und Hedwig Goldschmidt und ihre Kinder Eise und Richard, die in den Jahren 1943 und 1944 ermordet wurden.

Für Elisabeth Lensker ist die Verlegung dort ein besonders emotionaler Moment. Die 83-Jährige nimmt trotz des kalten Dezemberwindes an der Gedenkfeier teil. Sie erzählt: „Meine Mutter war bis 1928 Hausmädchen bei den Goldschmidts. Ich kannte die Familie aus ihren Erzählungen sehr gut. Ihr trauriges Ende bewegt mich sehr."

Einen weiteren Stolperstein verlegt Gunter Demnig am Montag an der Stegerstraße 8. Er erinnert an die 1940 im Alter von 52 Jahren ermordete Rosa Oppenheimer.

Der vorerst letzte in Stadtlohn verlegte Stolperstein hält nun ah der Südstraße 7 die Erinnerung an Johanna Goldschmidt wach. Die 1889 geborene Stadtlohnerin wurde 1941 nach Litauen deportiert und dort erschossen.

Seit 2009 erforscht der „Arbeitskreis Stadtlohner Geschichte 1933 bis 1945" das Schicksal der ehemaligen jüdischen Bürger aus Stadtlohn. Der Künstler Gunter Demnig hat in den vergangenen neun Jahren in Stadtlohn 23 Stolpersteine verlegt. Den ersten Stolperstein verlegte Gunter Demnig 1992 in Köln. Vor wenigen Wochen hat er in Moldawien seinen 70.000. Stolperstein eingelassen. Die Steine erinnern in 24 Ländern quer durch Europa als das größte dezentrale Mahnmal der Welt an die Opfer der mörderischen Ideologie des Nationalsozialismus. Von Stadtlohn aus wird Demnig in den nächsten Wochen nach Mallorca und Menorca reisen, um dort weitere Stolpersteine für Menschen zu verlegen, die im Zuge der Stationierung der Legion Condor den Gestapo-Säuberungen zum Opfer fielen.

 

aus der Münsterland Zeitung vom 11. Dezember 2018