Neue Stolpersteine erinnern an die Opfer

Für die ermordeten Geschwister Else (2.v.l.) und Richard Goldschmidt (4.v.l.) werden im Dezember Stolpersteine verlegt. An den ebenfalls ermordeten Hans Werner Meyers (l.) erinnert bereits ein Stolperstein. Seine Schwester Edith Meyers (3.v.l.) entkam der Deportation durch Emigration nach Australien. Ihr jüngerer Bruder Max-Heinz Meyers (r.) überlebte die Deportation. © Henry Rothschild 

Der Stadtlohner Arbeitskreis Geschichte hat weitere Lebensgeschichten ermordeter jüdischer Bürger erforscht. Im Dezember werden für sie Gedenksteine verlegt. 

Weißes Hemd, lockiges Haar, die Arme lässig um die Schultern der fröhlichen Freunde gelegt. Richard Goldschmidt schaut selbstbewusst und entspannt in die Kamera. Der Junge ist 13 oder 14 Jahre alt, als das Foto vor etwa 80 Jahren in Stadtlohn aufgenommen wird. Seinen 20. Geburtstag sollte Richard Goldschmidt nicht mehr erleben.

Weil er Jude war, wurde er als 17-Jähriger nach Riga deportiert und zwei Jahre später im Lager Salapils ermordet. Seine zwei Jahre ältere Schwester Else, die ebenfalls auf dem Foto in die Kamera lacht, und ihre Eltern Emil und Hedwig Goldschmidt mussten den gleichen Weg gehen. Sie alle wurden 1944 in Riga ermordet.

Geblieben ist nur dieses eine Foto. Damit will sich der VHS-Arbeitskreis „Stadtlohner Geschichte 1933 bis 1945“ nicht abfinden. Er stemmt sich seit Jahren gegen das Vergessen, sammelt in Archiven, bei überlebenden Verwandten und bei Zeitzeugen Informationen über das Leben der Opfer des Nationalsozialismus. „Wir wollen möglichst viele Menschen mit unserer Arbeit erreichen, darum binden wir auch die Schulen ein“, sagt die Historikerin Ingeborg Höting, die den Arbeitskreis leitet. Und sie betont gleichzeitig: „Wir legen dabei immer größten Wert auf eine wissenschaftlich korrekte und sachliche Darstellung.“

 

Krankenmorde

 

Die Familie Goldschmidt lebte bis 1940 in einem repräsentativen Wohnhaus an der Brakstraße 16. Der erfolgreiche Textilhändler Emil Goldschmidt hatte es Anfang der 1920er-Jahre für seine Familie errichtet. Das Haus steht heute noch. Die ermordete Familie Goldschmidt aber kennt kaum noch jemand in Stadtlohn. Auf dem Gehweg vor dem Haus wird der Künstler Gunter Demnig am Montag, 10. Dezember, vier Gedenksteine verlegen. Einen Stolperstein mit Namen für jedes ermordete Familienmitglied. Ein bleibende Erinnerung. 

Noch weitere Stolpersteine werden am 10. Dezember in Stadtlohn verlegt: Einer an der Stegerstraße 10. Dort wurde 1888 Rosa Oppenheimer geboren. Die geistig behinderte Frau wurde 1940 aus einem Heim in Münster in die Tötungsanstalt Brandenburg geschickt. Sie wurde sie am 27. September 1940 im Gas ermordet.

Dieses Schicksal ereilte am selben Tag und am selben Ort mit weiteren 156 Menschen auch Levi Goldschmidt, der 1877 in Stadtlohn in Stadtlohn als Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie geboren wurde. Levi Goldschmidt war wie Rosa Oppenheimer wegen einer geistigen Beeinträchtigung gleich doppelt von der nationalsozialistischen Ideologie bedroht. Für ihn wird an seiner langjährigen Wohnadresse Hook 2 ein Stolperstein verlegt.

 

Arbeitskreis sucht Bilder

Der vorerst letzter Stolperstein wird an der Südstraße 7 verlegt. „Hier wohnte Johanna Goldschmidt“ wird auf dem blankpolierten Messing stehen. Johanna Goldschmidt, geboren 1889, musste im November 1938 in Stadtlohn die Schrecken der Pogromnacht erleben, als sie aus ihrer Wohnung im Obergeschoss des Hauses Südstraße 7 die Treppe hinabgezerrt wurde. 1939 musste sie nach Breslau umziehen. Von dort wurde sie 1941 nach Litauen deportiert. In Kaunas warteten am 29. November auf sie und weitere 1004 Breslauer Juden die Erschießungskommandos.

Von Richard und Else Goldschmidt bleibt nur ein unbeschwertes Jugendfoto. Von ihren Eltern Emil und Hedwig Goldschmidt, von Rosa Oppenheimer, Levi Goldschmidt und Johanna Goldschmidt bleibt nicht einmal das. Der Arbeitskreis Geschichte möchte das ändern und fragt: Gibt es noch Stadtlohner, die sich an die Verfolgten und Ermordeten erinnern? Gibt es vielleicht noch alte Klassenfotos, auf denen sie zu sehen sind? Ansprechpartner ist Stadtarchivar Ulrich Söbbing, Tel. (02563) 97797. 


aus der Münsterland Zeitung vom 29. September 2018